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Ehrlichkeit im Gebet

"Der gottesfürchtige David M’Intyre behandelt in seinem vorzüglichen Büchlein The Hidden Life of Prayer offen, wenn auch kurz, ein lebensnotwendiges Element echten Gebets, das in unserem gekünstelten Zeitalter wohl übersehen wird. Sein Thema heißt kurz gesagt Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.»Aufrichtigkeit ist für uns die angemessene Haltung«, sagt M’Intyre, »wenn wir in der Gegenwart des Herrn knien.«

»Wenn wir mit Gott sprechen«, fährt er fort, »suchen wir oft nach Worten, die uns würdig genug erscheinen, aber manchmal sprechen unsere Gefühle eine ganz andere Sprache. Darum ist es am besten, wenn wir vor ihm vollkommen offen und ehrlich sind. Er wird uns erlauben zu sagen, was wir nur wollen, solange es an ihn gerichtet ist. ›Sagen will ich zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mich vergessen?‹ ruft der Psalmist aus. Wenn er gesagt hätte: ›Herr, du kannst nicht vergessen. Du hast meinen Namen in deine beiden Handflächen eingezeichnet‹,

hätte er zwar würdiger gesprochen, doch nicht so offen und konkret..."

So weit das Zitat des Buches von M’Intyre. Ein anderer Autor, der mit seinen erbaulichen Büchern eine ungewöhnliche Durchschlagskraft erzielt hat, hat Offenheit im Gebet empfohlen, die bis zur uneingeschränkten Freimütigkeit und Beharrlichkeit geht.

Wenn du ins Gebet gehst, so sagt er, und merkst, dass du keine Lust dazu hast, dann sage es Gott, ohne etwas zu beschönigen.

Wenn du mit Gott haderst und geistliche Dinge dich langweilen, dann gib es offen zu. Dieser Rat wird einige übervorsichtige und zaghafte Gläubige schockieren, doch ist dies wirklich ein guter Ratschlag.

Gott liebt die Seele, die ohne Falsch vor ihn tritt, selbst wenn sie sich in ihrer Unwissenheit im unbesonnenen Gebet schuldig macht.

Der Herr kann ihrer Unwissenheit sehr bald abhelfen, doch für Unaufrichtigkeit gibt es keine Heilung.

Das gekünstelte Wesen, das dem zivilisierten Menschen anhaftet, lässt sich nur schwer abschütteln.

Es liegt uns im Blut und bestimmt unsere Gedanken, Haltungen und Beziehungen in viel größerem Maße, als wir es uns vorstellen können...

Der Wunsch, einen guten Eindruck zu hinterlassen, ist einer der stärksten Faktoren geworden, die menschliches Verhalten bestimmen.

Jenes nette, gute gesellschaftliche Wundermittel, genannt Höflichkeit (das zudem schriftgemäß ist), ist in unserer Zeit zur Scheinetikette geworden, derer man sich aus falschen Motiven heraus bedient und die das wahre Wesen des Menschen unter einer schimmernden Oberfläche verbirgt, als wäre sie eine dünne Ölschicht auf einem stillen Teich. Der einzige Augenblick, in dem einige Menschen ihr wahres Gesicht zeigen, ist, wenn sie zornig werden. Aufgrund dieser abartigen Höflichkeit, die fast alles bestimmt, was wir in der menschlichen Gesellschaft sagen und tun, ist es nicht verwunderlich, dass es uns schwerfällt, in unserem Verhältnis zu Gott vollkommen ehrlich und aufrichtig zu sein.

Das überträgt sich wie eine Art geistiger Reflex und ist vorhanden, ohne dass wir uns dessen bewusst werden. Trotzdem ist es Gott äußerst verhasst. Christus verabscheute und verurteilte kompromisslos diese Einstellung, wenn er sie unter den Pharisäern fand. Das unbefangene kleine Kind, das sich nicht verstellt, ist für uns alle immer noch das von Gott gegebene Beispiel. In dem Maße, wie wir alle Täuschung zurückweisen und lernen, bis ins Kleinste Gott und den Menschen gegenüber ehrlich zu sein, wird das Gebet kraftvoller und mehr auf die Realität bezogen sein."

 

- A.W.Tozer, Gott liebt keine Kompromisse (CLV)

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